Tarotkarten, Postkarten, Kunstkarten …
Manche Karten kann man interpretieren, einige soll man interpretieren und andere sollen eine Deutlichkeit bieten, die nicht zu interpretieren ist. Zum Beispiel Landkarten. Beim Landesarchiv BaWü gibt es eine schöne Karte aus dem Jahr 1881. Ein Steindruck, der auf einer Vermessung aus 1877/78 basiert und auch für den behördlichen Gebrauch genutzt wurde und genutzt wird.
Was kann man auf solchen Karten sehen?
Eine Karte sollte immer das Datum der Erstellung, den Kartenmaßstab sowie die Himmelsrichtungen bezeichnen. Als Steindruck sind diese Karten recht ungenau im Detail. Doch sind die Grundstücke zu überblicken, Straßenverläufe ersichtlich und man kann sehen, welche Wege und Straßen für irgend Etwas einer Öffentlichkeit gewidmet wurden oder auch nicht, also öffentlich oder privat sind. Die Verläufe von Gewässern und die Wege darüber sieht man ebenso, wie die Ortsgrenzen, Wohngebiete und wirtschaftliche Gebiete. Die “Aufgabe” einer Karte kann man häufig an der Kartenlegende erkennen. Dort werden die Dinge einer Karte erklärt, auf die für die entsprechende Karte Wert gelegt wurde.
Die Zeichenerklärung dieser Karte beschreibt Flächennutzung und Wege und unterscheidet zwischen Straße, Weg und Pfad. Die Wege werden nochmals in Vicinalweg und Güterweg unterschieden. Wärend eine Straße befahrbar ist, kann ein Weg befahrbar sein, ein Pfad ist es warscheinlich nicht. Befahrbar heisst hier an der Karte von 1881 mit Fuhrwerken befahrbar, die riesigen LKW von heute sind damit sicher noch nicht gemeint.
Was kann man auf solchen Karten nicht sehen?
Flurstücksnummern werden nicht abgebildet. Die eigentliche Nutzung sieht man nicht. Da sieht man nicht, ob ein Gebäude bewohnt ist, da sieht man nicht, wer welchen Weg benutzt oder wer welchen Weg benutzen darf, wenn es um die Privatwege geht. Gerade im ländlichen Raum gestatte man die Begehung von Grundstücken, ohne dabei seine Rechte am Grundstück zu verschenken.
Hier im Kartenausschnitt sieht man zum Beispiel eine Kreuzung. Die querverlaufende Hauptstraße wird nach Norden (hier oben) und Süden (hier unten) von zwei nicht näher benannten Straßen gekreuzt. Die südliche Straße wird man später mal “Dorfwiesen” nennen, die nördliche “Hirschhorner Straße”. Da Waldwimmersbach bis in die 1959er Jahre ein sogenanntes Straßendorf war, also die Mehrheit der Grundstücke an einer Durchgangsstraße anliegen, gab es kaum Nebenstraßen, eher kleine Wegstummel, die von einem kleinen Kreis von Interessenten als Weg zum Feld oder zum Bach genutzt wurde. Solche kleine Wege gab es oftmals. So einen kleinen Wegstummel stellt zum Beispiel der Anfang der heutigen Straße Dorfwiesen dar.
Vicinalweg oder Güterweg?
Um was für eine Art Straße es sich handelt, kann man an der Zeichenerklärung der Karte ablesen. Die rechte Seite des Wegs wird mit einer durchgezogenen Linie entlang des Bachlaufs, die linke Seite wird durch eine gestrichelte Linie entlang der beiden Grundstücke gezeichnet. Es handelt sich also um einen Güterweg, der sich in zwei Fußpfade ausspaltet. Demnach hatte man damals nicht erwarten dürfen, dass man mit einem Fahrzeug da von der Hauptstraße in südlicher Richtung (unten) durchkommt. Wenn man sich die Karte genau anschaut, sieht man, dass es bereits 1881 ein Grundstück gab, dass nicht an der Durchgangsstraße lag. Im Interesse dieses Grundstücks lag dann vermutlich auch die Einrichtung dieses Wegstummels, dessen deutliche Verlängerung später die Straße Dorfwiesen wurde. Ein einzelnes Gebäude, ohne Stallungen oder Scheune, so dass man hier von größeren Fahrzeugen und einem entsprechend breiten Weg zu diesem Grundstück über den Wegstummel nicht ausgehen muss.
Auch bietet dieser Weg keinen Zugang zur südlich gelegenen Mühle, diese hat eine andere, eigene Zufahrt. Ein Weg führt als Fußpfad, der dem ursprünglichen Bachverlauf folgt, zum Lobbach und endet dort. Es gibt zur damaligen Zeit dort keine öffentliche Brücke, die über den Bach und zur jenseitig gelegene Mühle führt. Der zweite Fußpfad endet nach seinem Ost-West-Verlauf und einem weiteren Bachzugang wieder an einem Güterweg.
Wie breit ist der Stummel?
Über welche Breite im Kreuzungsbereich und weiteren Verlauf erstreckt sich der Güterweg? Zwar erkennt man auf der Karte, dass die Grenze rechts mit einem Bachlauf irgendwie zusammenläuft, links irgendwie an den beiden Grundstücken verläuft. Ob der Bach oder die Grundstücke zum Güterweg gehören oder nicht ist eben nicht deutlich zu sehen. Für die Beantwortung dieser Frage ist diese Karte nicht geeignet. Aber: die Karte gibt am unteren linken Rand Auskunft, woher sie ihre Informationen hat.
Nun mache ich mich wieder auf die Suche, diesmal nach der Karte der Katastervermessung aus den 1870er Jahren. Im Katasteramt werde ich fündig, die große und von Hand gezeichnete Karte wird noch verwendet und ist für Bürger wie auch Behörden einsehbar. Schauen wir uns doch mal den Wegstummel an, und gehen gemeinsam den Weg, den die damalige Vermessung festgehalten hat.
Das sieht schon Detailreicher aus. Der Stummel wird als eigenständiges Grundstück mit der Flurstücksnummer 183 der Gemarkung Waldwimmersbach ausgewiesen. Der offene Bachlauf gehört entlang des Stummels zum Weg. Die angrenzenden Grundstücke sind klar abgetrennt und gehören, ungeachtet ihrer tatsächlichen Nutzung, nicht zum Verlauf des kurzen Güterwegs. Zumindest im Zeitraum Ende der 1870er Jahre war Privatgrund und öffentlicher Grund, der späteren Straße Dorfwiesen, klar von einander getrennt. Was zu erwarten war.
Wegerechte und Co
Wie darf nun der Weg und die Flächen der angrenzenden Privatgrundstücke genutzt werden? Das ist einfach nicht einfach. Die öffentliche Fläche hat eine Widmung für die Öffentlichkeit aus der die “Nutzungsbedingungen” hervorgehen. Das war schon “Zum Preußischen Wegerecht” 1893 beschrieben. So kurz, so gut.
Was auf den Privatflächen passiert, haben die Parteien zu bestimmen, die die Rechte daran haben. Das wäre in der einfachsten Form der Eigentümer als einzelne Person. So einfach ist es aber nicht immer. Gibt es Wegerechte, dann werden die irgendwo beschrieben. Wer darf irgendwie welchen Teil nutzen oder nicht nutzen, hat welche Rechte oder Pflichten. Das wird dann ähnlich der Widmung gut umschrieben und dann archiviert. Solche Wegerechte gibt es hier nicht, da ist nichts aufgeschrieben.
Und dann gibts da Rechte, die aus Gewohnheit entstehen. Nehmen wir doch mal den Stummel. Im Kreuzungsbereich ist der Weg zwar durch den Bachlauf nach rechts begrenzt aber nach links zu den Grundstücken erst durch die Häuser. Denn früher hat man eben gerade auf dem Land nicht alles eingezäunt. Da wurde Anderen erlaubt, übers Grundstück zu laufen oder zu fahren, ohne dass man fürchten musste, die Rechte am eigenen Grundstück zu verlieren. Zumal im Beispiel mit dem Stummel die Zahl der Interessenten, die genau da lang wollten, schon allein wegen der Zielmöglichkeiten sehr überschaubar gewesen sein muss.
Die Welt dreht sich weiter
Nun hat sich auch Waldwimmersbach irgendwie weiterentwickelt. Aus dem Stummel wurde die Straße Dorfwiesen und zu dem einen Haus in der Dorfwiesen kamen weitere Häuser dazu, viele Anwohner haben ein Auto und manche LKW, für die man Wege so breit wie Bundesstraßenfahrspuren durch die Orte treiben muss. Und plötzlich verlangen einige der neueren Anlieger, deren Grundstücke es früher nicht gab, dass auch der Privatgrund zusätzlich zur bereits bestehenden 5 Meter breiten, öffentlichen Straße zum Laufen und Fahren vom Besitzer des benachbarten Privatgrundstücks zur Verfügung gestellt werden muss. Weil es ja angeblich schon immer so war und niemand es seit Menschengedenken anders kennt. Der Eigentümer verliert zwar nicht das Grundstück aber das Recht, über sein Grundstück zu verfügen. Das nennt sich dann das “Rechtsinstitut der unvordenklichen Verjährung”. Damit werden Grundstückseigentümer faktisch enteignet.
So kommen die Karten, die zwar Grundstücksgrenzen zeigen, nicht aber die erlaubte Nutzung oder Nutzungsdauer, an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Klar, im Fall des Stummel wird eine verantwortungsvolle Gemeindeverwaltung schon aus den Karten sehen, dass es zuerst einmal keine andere, als die Private Nutzung, geben kann. Zumindest bis 2010 wusste, auch auf Anfrage, niemand bei der Gemeinde Lobbach von irgendwelchen Wegerechten oder Rechten Dritter an dieser Stelle. Denn anders lassen sich die Karten auch nicht interpretieren, zumindest solange man nicht die Informationen mit einer Wünschelrute rauspeitscht und einer irrigen Vollmonddrehung unterzieht. Zumindest gab es bis 2015 Sicherheit über die Grundstücksgrenzen und Nutzungsrechte an dieser Stelle. Doch was hat man davon, sich Gedanken über die Grenzverläufe zu machen? Ich denke mir einfach mal eine kurze und abwegige Geschichte aus, in der ich was davon gehabt haben könnte.
Ab hier wird’s blöd
Konstruieren wir doch mal einen sehr abstrakten und rein fiktiven Fall. Gemeinsamkeiten mit realen Personen und Problemen sind rein zufällig.
Angenommen, so ein Wünschelrutengänger und Vollmonddreher wird nach mehrjährigem Wahlkampf ganz knapp Bürgermeister von Waldwimmersbach. Er interpretiert die Karten vorsätzlich nach seinem Aschenputtelprinzip: Die rechten Freunde ins Dörfchen, die Anderen hinaus, oder so ähnlich. Der Eigentümer sieht sich mit den rechten (schreibt man das in dem Fall groß?) Freunden konfrontiert und kritisiert das Aschenputtelprinzip des Bürgermeisters. Böser Fehler.
Jetzt macht der Bürgermeister dem Grundstückseigentümer links des Stummels das Leben schwer und will den Schutz des Grundstücks durch Bebauen mit einer Mauer verbieten. Dazu gehört zu behaupten, dass der Grundstücksteil des Privatgrundstücks, dass an den öffentlichen Teil der Straße Dorfwiesen grenzt, nun plötzlich auch öffentlich ist. Begründung (natürlich nicht, weil Du Eigentümer mir und meinen Freunden nicht passt): Weil das Grundstück an der Stelle schon immer offen war und schon immer von der Öffentlichkeit so offen benutzt werden konnte und an einen anderen Zustand sich niemand erinnern will, deshalb gilt das Prinzip der Unvordenklichen Verjährung. Und so hätte der Wünschelrutenmeister durch billige Kartenspielertricks ein klitze kleines Grundstück und ein riesiges Ansehen bei seiner Vollmondgemeinde gewonnen. Damit lassen sich persönliche Defizite ein wenig kompensieren. Soweit die abstrakte Konstruktion eines achso abwegigen Falls von Amtsmissbrauchs.
Konstruieren wir doch mal weiter. Gegen die Absprachen erinnert sich doch jemand daran, dass da zum Beispiel ein Baum stand. Zufällig habe ich eine Postkarte, die so einen Baum genau an der Stelle, an der der Schutz gegen Sachbeschädigung gebaut werden soll, auf dem Privatgrundstück zeigt. Außerdem lagen diverse Brennhölzer und Steine dort, so dass ein Begehen oder gar Befahren nicht wirklich möglich gewesen wäre. Auch über einen längeren Zeitraum hinweg nicht möglich gewesen sein kann, der Baum sieht recht alt aus.
Das würde zwar die Aussagen des obersten Wünschelrutengängers und seiner Ja-Sager-Elite in meiner fiktiven Geschichte als Unwahrheit entlarven, dass der Weg über das Grundstück links vom Stummel immer offen war und Jeder ungehindert über den Grundsstücksteil laufen konnte. Da Manche allerdings auch mehrmals, die Physik und Gesundheit ignorierend, gegen Bäume laufen und danach noch immer die Offenheit der Wege propagieren, ist das nur ein schwaches Argument. Am Ende ist das natürlich Alles nur konstruiert, weil kein Normaler würde sich als Bürgermeister soweit in deliktisches Verhalten verstricken oder gar Andere zur Vollmonddreherei verleiten. Denn es ist alles nur ein Kartenspiel, bei dem nicht die Karten entscheidend sind, sondern die Größe der Ärmel.